Geschichte



Geschichte der Bissa III
aus Sicht der Wissenschaft


Ein Dorf im Nigerbogen. Nach einer Zeichnung von Mungo Park
der 1797 vermutlich als erster Weißer Kontakt mit dem Kaiserreich der Mossi hatte.
1886 besuchte Gottlob Krause (1850-1938) als erster Europäer Ouagadougou.

Die frühe Phase
2.1.1 Erste Dokumentationen und ethnische Einordnung

Das Untersuchungsgebiet wird hauptsächlich von verschiedenen Bissagruppen bewohnt. 
Im Falle der Geschichte der Bissa ist die Zahl schriftlicherZeugnisse gering. Das erste Mal wurden die Bissa
bei Clarke erwähnt, der sie in seinen linguistischenStudien 1849 in ihrer Lokalität beschrieb.
Das zweite Mal erwähnt sie der Missionar Koelle in seiner Polyglotta Africana als Verwandte der Mossi. Auch
Delobsom (1932) zählt sie in der Geschichte der Mossi auf. Danach werden sie von den Entdeckungsreisenden
Krause (1887) und Binger (1889) unter dem Namen Boussancé beschrieben. Dieser Name stammt aus der Mossi-Sprache Mooré. Ausführlicher sind die Beschreibungen von Delafosse (1919) und Tauxier (1924), die
sie als eine der 5 Mossigruppen aufzählen.
Das erste Mal als eigene Gruppe nennt sie ein italienischer Missionar (um 1920), dem auch Wüstungen auffallen
und der damit auf mögliche Vertreibungen aufmerksam macht.
Marc beschreibt aus derMossiperspektive, dass diese beim Eintreffen in das Gebiet einige „sauvages“ vorgefunden haben, die sie dann zum Verkauf mitgenommen haben.
Die Verwandtschaft zu den Mossi findet sich auch in den oralen Geschichten wider, die man bei den Bissa hört.
Gegen diese enge Bindung spricht deren Sprache. Im Gegensatz zum Moré der Mossi sprechen die Bissa
eine Mandesprache und bilden somit eine Insel, umgeben vom Moré.

Die eigentliche Geschichte der Bissa ist erst seit 1800 nacherzählbar, weil anders als bei den
Mossi, die in Königtümern organisiert waren, das politische Leben der Bissa dergestalt aussah,
dass verschiedene Klane der Jägerkultur weitgehend autark nebeneinander existierten.
Wurden die Heldentaten und Erbfolgen im Königreich der Mossi über Dynastien durch die „Tambourinaire“
mündlich weitergegeben, fehlte diese Möglichkeit der historischen Überlieferung in den Klanen bis zum Zeitpunkt
der Konstituierung der Chefferien, die bei den Bissa als Reaktion externen Drucks begann.Wahrscheinlich siedeln
die Bissa schon genauso lange in dem Gebiet wie die benachbarten Mossi, jedoch liegen keine Zeugnisse darüber vor.

2.1.2 Phase der Besiedlung und der akephalen Klanstruktur

Die Bissa haben zu einigen Ethnien nachweislich Verwandtschaftsgrade, die mehr oder weniger
direkt sind. Die Samo werden nach einer Legende Cousins genannt, auch die Gourounsi
sind Verbündete; im Umgang kommt es zu spielerischen Beleidigungen wie „Mein Sklave“
und „Erdnussfresser“. Die Bissa, Samo und Gourounsi sind allesamt Mandesprachinseln, das
Mande-Kerngebiet liegt westlich des Untersuchungsraums. Die engste ethnische Verwandtschaft
besteht dennoch zu den Mossi, sodass deren Verhältnis in den meisten historischen
Studien im Mittelpunkt steht.  Nicht nur weil sich die kriegerischen Auseinandersetzungen
und Sklavenbeutezüge der Mossi tief in das Bewusstsein der Bissa gebrannt haben, sondern
auch, weil sich durch sie neue gesellschaftliche Organisationsformen formierten und durch
Wüstungen, Schutzsiedlungen und Neugründungen Siedlungsgeschichte geschrieben wurde.

Die Verwandtschaft zwischen Mossi und Bissa ist bereits in der Legende der Reichsgründung
der Mossi verankert. Die Entstehungsgeschichte der Bissa und Mossi ist weitgehend identisch,
die Darstellungsweise differiert mit der Perspektive des Erzählers und der Erzählsituation.
Manchmal ist der Gründer ein Bissa, manchmal ein Mossi. Je nachdem wird der Herrschaftsanspruch
der einen, wie der anderen Ethnie ausgelegt.

Die Besiedlung des Untersuchungsgebiets fand von Süden aus statt und die einzelnen Orte
wurden gegründet von linearen Gemeinschaften, die einen Siedlungsplatz suchten, um dort
zusammen zu leben und zu wirtschaften. Das Zusammenleben kann nur rekonstruiert werden
und war wohl akephal und segmentär. Erst in der nächsten Phase kann man von einer differenzierten
Gesellschaftsform sprechen, in der unterschiedliche Funktionen in der Gemeinschaft übernommen wurden.

2.1.3 Phase der Bevölkerungsdezimierung und Gesellschaftskonstitution

Mit dem Aufkommen der Chefferien im 19.Jh. wurde auch eine Bodenreform durchgeführt.
Es gibt einen klaren Einschnitt in der Geschichte in ein Vorher und Nachher. Das Chefferieprinzip ist als
Schutz vor feindlichen Eindringlingen von den benachbarten Mossistämmen übernommen worden,
daher gilt es auch als Manifestation der ersten überklanmäßigen Gesellschaft.
Der erste nachweisliche Chef wurde in Garango um 1850 nominiert, Naaba Busunkudma.

Die Linie der Chefs wird in der Familie der Bambara weitergegeben. Diese Einführung
ging einher mit der Gründung eines Hofes und dazugehörigen Kriegern, die den Chef,
das Volk und dessen Boden beschützen sollten, während in der segmentären Klangesellschaft
im Senioritätsprinzip mehr oder weniger autonome Kleingruppen bzw. Familien nebeneinander
lebten, die Hirten oder Jäger waren und zur gemeinsamen Überlebenssicherung eine Gemeinschaft bildeten.
Die Ausbreitung des Chefferiephänomens ist auf Außenkontakte in kleineren Kriegen zurückzuführen,
die das Sippentum als schwachen Gegner auswies. Da bei den ungeschützten Siedlungen keine Krieger
vorhanden waren, wurden viele Bewohner als Sklaven entführt, und so mussten sich sukzessiv alle kleineren
Klane und dispersen Siedlungen zu größeren Einheiten zusammenfinden und zum Selbstschutz eine Armee aufstellen, die Sklavenbeutezüge ihrer Nachbarn zu verhindern suchte.
Diese Gründungswelle markiert den Anfang der Geschichtsdokumentation.
Seit die Heldentaten der Krieger erzählt wurden, werden auch andere Geschehnisse weitererzählt
und in Gesängen dokumentiert. Der Hof wurde zur oralen Geschichtssammlungsstätte. Damit
wurden auch die ethnischen Gebietsgrenzen geschaffen, die die jeweiligen Territorien zuordneten.
Boden und Fläche wurde damit zugehörig.
Der Prozess dauert bis heute an, die Bodenfrage ist keinesfalls endgültig geklärt  und
sorgt immer noch für zahlreiche Konflikte zwischen staatlichen, kommunalen, ethnischen und
familiären Ansprüchen.

Dass das Prinzip nicht nur Sicherheit und Stärke mit sich brachte, zeigt auch das Beispiel Garango,
wo zwei Naaba Anwärter bei Streitigkeiten der Thronbesetzung Anspruch auf die Herrschaft erheben
und sich bis in die jüngste Untersuchungszeit (1999) erbitterte Kämpfe mit Todesfällen liefern.
Neben der Ausbildung von Dorfgemeinschaften entleerten sich auch Siedlungen, die in kriegerischen
Auseinandersetzungen verwüstet wurden oder die ob ihrer schlecht zu schützenden Lage aufgegeben wurden.

Außer den unabhängigen Chefferien Garangos und Zabrés (südlich des Untersuchungsgebiets)
sind alle anderen Chefferien Mossigründungen, der Nakomsé, und diese hatten eine relative
Nähe zum Hof in Ouagadougou. Die freien Bissa-Dörfer wurden immer wieder attackiert
und durch Sklavenrazzien heimgesucht.
Für die Herrscher in Ouagadougou waren ihre Mossichefferien Außenposten des Reiches und
zugleich Stationen, von wo aus die Razzien durchgeführtwerden konnten. Prost (1950, S.60) mutmaßt,
dass eine Einnahme Garangos und Zabrés von den Mossi durchaus möglich gewesen sei, die
relative Verwandtschaft veranlasste allerdings den Mogho Naaba dazu, sie „nur Gott allein“ zu unterstellen.

Die ersten Sklaven der Mossi waren alle aus dem Gebiet um Garango, zumeist junge Männer,
die gute Schützen waren oder auf dem Hof helfen sollten. Zum größten Teil wurden sie am
Markttag verschleppt.
In den Intensivinterviews wurde dies bestätigt, auch als Grund dafür,dass sich die Bissamänner
nicht am Marktgeschehen beteiligt haben, und das junge Männer noch lange Zeit dem Marktplatz
gänzlich fern blieben. Faure (1996, S.79) zieht zudem die Architektur als Beweis für die Angst um
Verschleppung heran, die die jeweiligen Höfe mit großen Mauern schützt. Auch der nahegelegene
Hausberg Boulgou wurde Zufluchtsort für dieschutzsuchenden jungen Männer.
In Erzählungen beschreiben die Älteren oft die Verstecke, an die sie die jungen Männer gebracht
hatten sowie die Folter und Erpressungen, um sie zur Herausgabe der Söhne zu zwingen.
Nicht unterschätzt werden darf auch die Anzahl der verschleppten Frauen, allerdings galt es
als ein Teil der Bissakultur, Frauen zu verschiedenen Anlässen zu verschenken.
Dorfchefs sollen bis zu 100 Frauen geschenkt worden sein, bei Migration wurden Frauen oft zurückgelassen.
Dementsprechend selten wird darüber gesprochen, der Diebstahl junger Männer steht in den
Ungerechtigkeitsgeschichten an höherer Stelle.
Die Sklaven blieben nicht nur bei den Mossi, sie wurden auch auf Sklavenmärkten wie in
Salaga weiterverkauft und so in alle Welt gebracht.
In der Bissaregion plünderten nicht nur die Mossi, sondern auch Ashanti und Dagomba.
Der erfolgreiche Widerstand gegen die Eindringlinge, die lebende wie sächliche Beute machten,
wird bis heute stolz berichtet, die Bissa haben nie kapituliert. Erst mit dem Eintreffen der
Franzosen ordneten sie sich einer fremden Gruppe unter.

Auszug aus: Strukturelle Transformation in agro-ruralen Territorien  Uni Hd, mit freundlicher Genehmigung des Autors
Im Original gibt es Quellenangaben in Form von Fußnoten, sie wurden hier weggelassen.